
vielleicht ist es nützlich, sich auch mal besinnlich mit Themen außerhalb der christlichen Lebens- und Glaubenswelten zu beschäftigen. Toleranz kann man bereits in frühen Kindertagen lernen. Am besten durch Begegnung mit nicht Alltäglichem, ja, vielleicht sogar mit Fremdem, gar mit Verbotenem.
Wenn ich als kleiner Bub Anfang der 50er Jahre für einige Wochen zu meinen Großeltern ins Berliner Umland geschickt wurde, dann war das eine andere Welt. Herumtoben, auf Bäume klettern dürfen, sich nicht übermäßig waschen zu müssen und vor allen Dingen sich trauen zu können, heimlich in der benachbarten Großgärtnerei Möhren und Kohlrabi zu klauen und dabei nicht erwischt zu werden.
Das absolut Aufregendste aber waren stets die russischen Besatzungssoldaten. Die jungen Kerle übten das LKW-Fahren. Sie kurvten mit ihren stinkenden Klapperkisten durch die Siedlung und verursachten einen mächtigen Radau.
Zunächst war mir das unheimlich. Aber alles, was einem unheimlich ist, das zieht einen auch magisch an. Mich auch. Omas strenge Warnung im rechten Ohr: „Hüte dich vor den Russen. Gehe ihnen aus dem Weg“, schlüpfte rasch aus dem linken Ohr wieder hinaus.
Ich schlich mich vom Hof und wartete mit klopfendem Herzen auf den nächsten russischen Armeelastwagen. Der nächste der kam, der hielt bei mir an. Die Beifahrertür öffnete sich. In gebrochenem Deutsch wurde ich eingeladen mitzufahren. Ohne zu zögern stieg ich ein. Meine allererste Autofahrt.
Die Abneigung gegen aus meiner damaligen Sicht überflüssige Körperreinigungen wurde von den Gerüchen der beiden Russen um Längen übertroffen. Sie stanken fürchterlich. Erst im Laufe weiterer Begegnungen lernte ich die wahren Ursachen ihrer Körperausdünstungen kennen: Beispielsweise Wodka, Machorka ( vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Machorka ) und Kohlsuppe (Kapusta). Machorkatabak wurde übrigens in Zeitungspapier gewickelt. Die einzige Zeitung die den russischen Soldaten dafür zur Verfügung stand, das war das Zentralorgan der KPdSU, die Prawda (Übesetzt = Wahrheit).
Diese heimlichen Automitfahrten wurden im Laufe der Zeit zur Gewöhnung. Sobald Oma außer Sichtweite war ging es los. Nie hatte ich Befürchtungen oder Angst davor, dass mir etwas geschehen könnte. Der einzige Zwischenfall ereignete sich, als ich einen ersten tiefen Lungenzug aus einer selbstgedrehten Machorka-Zigarette versucht hatte.
Die beiden jungen russischen Soldaten lachten sich fast halbtot, als sie mich um Luft ringen sahen. Damit ich mich übergeben konnte, hielten sie freundlicherweise an.
Wir setzten uns an den Feldweg, sie gaben mir etwas Brot und einen Schluck von Ihrem Wässerchen. Das Zeug brannte in meinem Magen wie Feuer, aber es beseitigte die Übelkeit.
Dann holte einer von den beiden, nennen wir ihn Sascha, eine kleine Ziehharmonik aus dem Auto und begann zu singen. Ein deutsches Volkslied. Daheim hatte man mich mit den ernstesten Warnungen vor den russischen Soldaten vollgestopft. Das wären raue, brutale und gewalttätige Kerle. Eigentlich keine richtigen Menschen.
Und nun saß ich an einem brandenburgischen Feldweg neben einem jungen russischen Soldaten, der mit einer glockenhellen Stimme und mit Tränen in den Augen ein deutsches Volkslied sang.
Jahrzehnte später war ich oft in Russland unterwegs. Dabei lernten ich dann auch russische Volkslieder kennen und von Herzen und mit ganzer Seele singen.
Eine frühere Forumsteilnehmerin meinte oft sinngemäß, dass Begegnung, ja manchmal sogar Berührung sehr wichtig ist, um Fremdes, wenigstens ansatzweise, verstehen zu lernen.
Mit festbetonierten Vorurteilen finden keine fruchtbringenden Begegnungen und schon gar keine freundlichen Berührungen statt. Ach ja, eine gehörige Portion Mut gehört übrigens manchmal auch dazu…
http://www.youtube.com/watch?v=_43ud0aD ... re=related
Liebe Grüße, landauf und landab, von Eurem alten Maximin
