August Prolle hat geschrieben:[05.04.2010: Formatierung wiederhergestellt - A.P.]
Werter Cemper,
Sie haben es mal wieder geschafft, mich zu tagelangem – weitgehend ergebnislosen - Nachdenken anzuregen. Soviel scheint mir zumindest klar:
Zu den von Ihnen aufgeworfenen, interessanten Fragen, wie auf dem Gebiet der Religion/des Glaubens die private Sphäre von der öffentlichen Sphäre getrennt werden könne und ob diese Trennung insbesondere einem neuap. Christen, der die Zugehörigkeit zum "königlichen Priestertum" und damit eine quasi "öffentliche Funktion" anstrebe, überhaupt möglich sei, werden wir bei Wilhelm Busch kaum eine Antwort finden. Er verbrachte zwar seine letzten Lebensjahre in einem Pfarrhaus, doch an religiösen Fragestellungen scheint er wenig Interesse gehabt zu haben. Seine eschatologischen Vorstellungen subsummierte er unter der Überschrift "
Dilemma" in einem Gedicht, das nicht gerade von der hoffnungsfrohen Erwartung auf eine jenseitige Amtsübernahme zeugt. Vielmehr gipfelt es in der Feststellung:
Wilhelm Buch hat geschrieben: Mir wäre doch, potzsapperlot,
Der ganze Spaß verdorben,
Wenn man am Ende gar nicht tot,
Nachdem, daß man gestorben.
(Man sollte Busch zugute halten, dass es ihm nicht vergönnt war, unter die Wirksamkeit lebender Apostel zu kommen. Er starb
1908 in Seesen am Harz, elf Jahre bevor dort eine
neuapostolische Gemeinde gegründet wurde.

)
Vielleicht werden wir auf der Suche nach Antworten eher bei Augustinus fündig. In seinen
Confessiones (Zwölftes Buch - Fünfundzwanzigstes Kapitel) postuliert er die Unmöglichkeit, an der Wahrheit Besitzansprüche geltend zu machen. Die Wahrheit könne niemals "Privatsache" sein, im Gegensatz zur Lüge, die grundsätzlich etwas Eigenes – und damit Privates – darstelle:
Augustinus hat geschrieben:Deswegen sind deine Gerichte, Herr, schrecklich; weil deine Wahrheit nicht mir gehört, nicht diesem oder jenem, sondern uns allen, die du öffentlich zu ihrer Teilnahme berufest mit der ernstesten Erinnerung, daß wir dieselbe nicht allein für uns besitzen sollen [andere Übersetzung: "... uns ermahnst, sie nicht als
Privatsache haben zu wollen"], um ihrer nicht gänzlich beraubt zu werden. Denn jeder, der für sich in Anspruch nimmt, was du für alle bestimmst, und der das als das Seinige ansieht, was das Gut aller ist, wird von dem Gemeinsamen auf das Seinige zurückgedrängt, das heißt, von der Wahrheit zur Lüge. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem Eigenen.
Wenn man Augustinus folgt, ist jeder "private" Glaube - im Wortsinn - "geraubt". Das muss konsequenterweise nicht nur für den persönlichen Glauben des einzelnen Menschen, sondern auch für Glaubensgemeinschaften, ja letztlich für die Weltreligionen, gelten. Auf der Suche nach einer gleichsam öffentlichen, universalen Wahrheit, die hinter bzw. über allem persönlichen Glauben steht, fühle ich mich - im Einklang mit
Augustinus - auf mich selbst zurückgeworfen:
"Geh nicht nach außen, zu dir selbst kehre zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit." Und spätestens hier weiß ich nicht mehr weiter... Einerseits sagt Augustinus, "die Wahrheit" sei dem Menschen innewohnend, andererseits verurteilt er in Glaubensdingen alles Private als Lüge! Können Sie helfen, dieses Paradoxon aufzulösen?
Cemper hat geschrieben: Und dichten Sie weiterhin; ohne Dichter wäre die Welt öde und leer.
Nun denn, frei nach August(inus):
- Wer Wahrheit zu besitzen glaubt,
hat sich derselben selbst beraubt.
Die Wahrheit ist stets öffentlich,
die Lüge hat man ganz für sich.
Was allen Menschen ist gemein:
Nur das kann wirklich Wahrheit sein.
Wer meint, das Evangelium
sei sein privates Eigentum,
verkennt, dass Gott als Mensch geboren,
damit der Mensch, der Gott verloren,
ihn in sich selber wiederfinde:
Der Mensch ist Gott dem Menschenkinde.
A.P.
