Gebietskirche Steinweg (Apostelbezirk Hannover)
1974: Der kleine August verfolgt die Fußball-WM am Radio. Selbstverständlich hatten seine Eltern keine "Flimmerkiste". Das Endspiel (Deutschland gegen Niederlande) hat er bis heute in lebhafter Erinnerung. Er hätte zu seinem Großvater gehen können, aber das hatten die Eltern verboten.
1980: August hört in der Jugendstunde den Bericht eines Diakonen, der von einem Camping-Urlaub zurückgekehrt ist. Der Diakon schildert, dass er auf der Fahrt zum Urlaubsort mehrere Reifendefekte an seinem Wohnwagen hatte. Er hätte darin ein "göttliches Zeichen" gesehen, habe er doch - so gibt er reumütig zu - im Wohnwagen einen Fernseher mitgeführt. Kaum am Urlaubsort angekommen, habe er sich vom Platzwart einen Vorschlaghammer ausgeliehen und das Gerät zertrümmert. Und siehe da: Auf der Rückreise habe er keine Panne gehabt...
1980 ff: August hört Äußerungen von Bezirksämtern, wonach bestimmte Brüder nicht "ins Amt" kommen könnten, weil sie nicht bereit wären, das Fernsehgerät abzuschaffen. (Meistens lag es an der Ehefrau!) - Vor geplanten Ordinationen fanden grundsätzlich Hausbesuche durch den Bezirksältesten resp. Bezirksevangelisten statt. Die Bezirksämter waren gehalten, gegenüber dem Apostel verbindliche Angaben zu machen, ob der Kandidat einen Fernseher besitzt oder nicht. So kam es, dass sie sich beim Verlassen der Wohnung gern mal in der Tür irrten und "versehentlich" ins Schlafzimmer gingen - zwecks Kontrolle, versteht sich. - Soviel steht definitiv fest:
Unter der 25-jährigen Ägide Steinwegs (1968 - 1993) konnte niemand ein Amt empfangen, der einen Fernseher besaß. (Andererseits wurden meines Wissens keine Amtsenthebungen vorgenommen, wenn sich ein bereits amtierender Amtsträger einen Fernseher zulegte. Gern genutzte Begründung war, dass er diesen nur zum Betrachten seiner Urlaubsfilme nutze.)
1990: August, inzwischen verheiratet und in eigener Wohnung lebend, kauft sich für 50 DM einen gebrauchten Schwarz-Weiß-Fernseher! Boah!!! Bei jeder Werbeunterbrechung springt er auf, läuft zum Gerät und dreht es leiser. Fernbedienung? Fehlanzeige. Die Pixelanzahl ist so gering, dass er bei Fußball-Übertragungen den Ball zeitweise vor der hellen Werbebande nicht sehen kann. Aber was macht das schon? August ist glücklich. Flatrate-Gucken!!! Mit der Zeit verschwindet auch die Rötung der Ohren...
1991: Familie Prolle zieht um. Am neuen Wohnort stehen ein Dutzend Amtsträger, um zu helfen. (So etwas gab es in der NAK der Neunziger!) Als beim Entladen des Umzugslasters der Fernseher zum Vorschein kommt, weigern sich einige der Helfer, diesen zu tragen. Um niemanden in Gewissensnöte zu bringen, trägt August das Gerät selbst in den dritten Stock.
1997: August ist Amtsträger und wohnt im eigenen Haus. In einer Ämterversammlung fragt der Vorsteher, wer bereit wäre, die kircheneigenen Fernsehgeräte zuhause einzulagern. Eine Diebesbande würde systematisch aus "unseren" Kirchen die Fernsehgeräte stehlen. Die Verwaltung habe mitgeteilt, dass die Versicherung nicht länger bereit sei, die Schäden zu bezahlen. August meldet sich. Er hat einen großen Keller. Und so kommt es, dass er zwei, jeweils 30 kg schwere Kirchen-Fernseher in Verwahrung nimmt, die er vor jedem Übertragungs-Gottesdienst in die Kirche transportiert. Während er die Dinger schleppt, erinnert er sich manchmal an seinen Umzug...
Heute: Längst haben die Bezirksämter, die seinerzeit die Schlafzimmer kontrollierten, selbst einen Fernseher. Gern auch zwei. Tja, alles hat eben seine Zeit. Auch die "Verbötlein". Ernstere Naturen reden sich ein, den Verzicht auf ein Fernsehgerät aus eigenem Antrieb vorgenommen zu haben. Frei nach dem Motto: Was kümmert es mich, dass Fernseher jetzt erlaubt sind. Ich habe mich dagegen entschieden - und dabei bleibt's. Inzwischen, wenn auch als Letzte, haben sie selbstverständlich auch einen gekauft. Wegen der Kinder. Die brauchen das für die Schule.
Fazit: Wie schön ist es doch, apostolisch zu sein! Früher war alles verboten, jetzt ist alles erlaubt. Sogar das WM-Finale 1974 darf sich August inzwischen auf Youtube ansehen - alles "kein Thema mehr".
P.S.: Weiß eigentlich jemand, wann der nächste Tanzkurs für bärtige Amtsträger stattfindet? Was, während des Karnevals? Nee, da kann ich nicht...