Abendgruß
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- Beiträge: 674
- Registriert: 25.11.2007, 13:44
Alle, welche dich suchen, versuchen dich.
Und die, so dich finden, binden dich
an Bild und Gebärde.
Ich aber will dich begreifen
wie dich die Erde begreift;
mit meinem Reifen
reift
dein Reich.
Ich will von dir keine Eitelkeit,
die dich beweist.
Ich weiß, dass die Zeit
anders heißt
als du.
Tu mir kein Wunder zulieb.
Gib deinen Gesetzen recht,
die von Geschlecht zu Geschlecht
sichbarer sind.
(Rainer Maria Rilke)
Und die, so dich finden, binden dich
an Bild und Gebärde.
Ich aber will dich begreifen
wie dich die Erde begreift;
mit meinem Reifen
reift
dein Reich.
Ich will von dir keine Eitelkeit,
die dich beweist.
Ich weiß, dass die Zeit
anders heißt
als du.
Tu mir kein Wunder zulieb.
Gib deinen Gesetzen recht,
die von Geschlecht zu Geschlecht
sichbarer sind.
(Rainer Maria Rilke)
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Gut!abendstern_ hat geschrieben:Ich habe zunehmend ein Problem mit der Sprache unserer Religion.

Mein liebe(r) abendstern_,abendstern_ hat geschrieben:Wenn einem Worte eines Dichters, der mit vorsichtiger Sprache versucht sein Gottesbild zu beschreiben, mehr anspricht als biblische Abhandlungen und christliche Predigten, ist man dann noch Christ?
ich bin ja bekennender und leidenschaftlicher Rilke-Verehrer und stehe vor manchem seiner Werke mit fassungslosem Staunen. Trotz seiner sehr feinen Sprache sagt er Dinge, die viele so denken sich nicht trauen. Du zitierst ihn: "Ein Gott, der seine Stärke eingesteht, hat keinen Sinn."
Peng ... und jetzt tüte diesen Satz (und das ganze Gedicht) ein und geh zu Kirchens. Was wird Dir Herr Papst, Bruder Stammapostel und Frau Bischöfin sagen (wenn das Erschrecken vorbei ist)? Was? Sie werden es auf Teufel komm raus umbiegen und hinbiegen bis wieder alles gut ist und Du psalmensingend ihre Wege ziehst.

Aber so ist es halt nicht - und da und genau da, wo Rilke diesen Satz sagt, fängt für mich das Christsein an - es hat in den Kirchen aufgehört. Es hat aufgehört bei den säuselnden Männern, die in Frauengewänder weihrauchtrunken das Altarleinen küssen. Das ist auch nett, das ist berührendes Theater, das trägt auch manchen manchmal irgendwohin. Aber das hat Christus und Gott mit seiner Menschwerdung nach meinem Verständnis nicht gemeint.
Dieser Gott und dieser Christus sind in dieser unserer Wirklichkeit abgehalfterte Streuner, die hier ganz am Rand hausen würden. Christus war auf andere angewiesen. Christus hat mit seinem So-sein und seinen Taten nichts verdient. Er ist durch die Welt gehatscht und hat von einer andern Welt geträumt - von einer grösseren, "kindlichen" Welt jenseits dieser Matrix, in die sich die Menschen immer mehr einbinden lassen und verfangen und in der das Menschsein untergeht. Er war auf der Flucht und am Ende war er Dreck ... ein Haufen Nichts. "Ein Gott, der seine Stärke eingesteht, hat keinen Sinn." Und doch ...
Und dann, am Ende, hängt er da, der verlassene und verspottete Meister und Teil Gottes, und geht ein, ganz langsam ... "und wenn dein Herz dir glüht und nichts verrät, dann schafft er drin." Wer will denn so etwas hören? Wie leer wären die Kirchen, wenn so eine Predigt enden würde? Dann drehen wir das doch lieber um und predigen (zwar voller Angst vor dem Heimkommen in die einsame Wohnung und volle Hoffnungslosigkeit, weil der Job bald weg ist und voller Wut auf die, die immer davonkommen, weil sie andere wie Einwegflaschen behandeln) von der Liebe Gottes und seinen Wundertaten ...
Also ich kann da gerade nicht mehr hingehen - und wenn, dann ganz vorsichtig und bedächtig und immer fluchtbereit. Dort geht mitunter zu viel kaputt ... und daher verstehe ich gut, wenn Dich Rilke und sein Mut zum erdigen Tiefgang und Schlitze-in-die-Fassaden-schlagen mehr anspricht als die alles-ist-gut-Predigten.
Oder so ...

Abendgruss - Hannes
ps. Neulich: eine Verwandte, lebenslang schwerst psychisch krank, trotz hohem Alter alleinehausend, liegt seit einem Tag unter dem Tisch und kann sich nicht mehr bewegen ... wir finden sie. Eine Tante sagt zu mir: "Jetzt kann nur noch der liebe Gott helfen." Peng ... ich hab mich umgedreht und habe im Weggehen gesagt: "Na dann kann ich ja gehen, wenn Gott da ist. Ihr seid ja dann zu viert." Dann hat sie mich getadelt und als ich sagte: "Wo war Gott gestern abend, als sie zusammengebrochen ist?" wurde sie schweigsam ... "Ein Gott, der seine Stärke eingesteht, hat keinen Sinn."