evah pirazzi hat geschrieben:
Verstehen Sie, was ich meine?
Werte Evah Pirazzi!
Sie haben mich in Ihrem Eintrag oben über „shalom“ (zwei höher) gefragt, ob ich verstehe, was Sie meinen. Ich kann nur mit einer Vermutung antworten; ich meine, dass ich auf dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit der NAK und dem Umgang mit Menschen aus dieser Kirche „ja“ sagen kann. Ich deute einmal zwei kleine (eigentlich unwichtige) Erfahrungen an:
Vor vielen Jahren – ich ging noch zur Schule – hatte ich bei einem Schüler von Michael Schneider (damals ein bekannter Prof. an der Kölner Musikhochschule) Orgelunterricht. Dieser „Schüler“ war schon Kirchenmusiker und hatte „eine Stelle“ an einer katholischen Kirche. Er hatte es mir ermöglicht, an der Orgel in seiner Kirche zu üben. Das war aber nur mit gewissen Einschränkungen möglich, so dass ich mich noch nach einer anderen Übemöglichkeit umgesehen hatte – und dabei war mir ein neuap. Onkel behilflich. Der Mann war damals Vorsteher einer neuap. Kirchengemeinde und kannte den Vorsteher einer anderen Kirche, die eine recht passable Orgel hatte und die in der Nähe der elterlichen Wohnung war. Kurzum – der Onkel hatte seinen „Kollegen“ gefragt, ob ich in seiner Kirche hin und wieder üben könnte. Das ist dann möglich gewesen - und ich musste mir bei einem älteren Herrn immer den Kirchenschlüssel holen und ihn dort wieder abliefern. Ich habe also damals in einer kath. und einer neuap. Kirche geübt. Da ich damals schon größere Werke erarbeiten konnte, habe ich keine frommen Lieder, sondern „richtige Literatur“ gespielt bzw. geübt: mittelschwere Werke von Bach und Buxtehude und Mendelssohn usw.
Eines Tages – ich weiß es noch wie heute – hatte ich an einem Samstagnachmittag mit lauter Registrierung die sog. Dorische Toccata von Bach gespielt:
Und nun stellen Sie sich mal das vor: Ich sitze an der Orgel – und plötzlich höre ich bluuhhhaahhhgrrr. Der Motor für die Windzufuhr war nicht mehr in Betrieb. Ich bin dann nach unten gegangen und traf dort einen Mann, der mir kurz bündig mitteilte, dass er die Sicherung rausgedreht hat und das damit begründet hat, dass diese Kirche ein Gotteshaus sei. Solche Musik könnte ich woanders spielen. Hier würde aus dem „Melodienbuch“ gespielt. – Da weiß man doch nicht mehr, was man sagen soll.
Ein anderes Beispiel: Ich musste mir ja immer einen Kirchenschlüssel holen. Ich musste deshalb zu einem älteren Mann, der von Beruf Polier war (Baumeister oder so etwas). Dieser Mann sah so aus, wie mancher sich einen Gelehrten vorstellt (natürlich klischeehaft): groß, schlank, feine Gesichtszüge und randlose Brille. Eines Tages bat mich dieser Mann in seine Wohnung und zeigte mir mit einem gewissen Stolz sein Harmonium. Wahrscheinlich kennen Sie solche Geräte – solche Quetschkommoden. Kirchenmusiker sagen dazu „Seelensuchgerät“ oder „christliche Nähmaschine“ (weil man unten mit den Füßen einen Blasebalg treten muss – eine Bewegung wie bei alten Nähmaschinen). So sehen die aus:
http://www.quasifolk.de/galerie/images/ ... onium1.jpg
Und dann spielte dieser freundliche Herr einige Lieder aus dem neuap. Gesangbuch, stand von der Bank vor dem Instrument auf und sagte mir: „Das ist ein Instrument mit einer Seele.“ Und dabei schaute er mich an, als würde er sich vorstellen, dass die Lieben in der Ewigkeit hören, wenn wir hier die Lieder spielen, in denen ihrer - der Heimgegangenen - gedacht wird.
Sehen Sie, werte E.P. – auf diesem Hintergrund verstehe ich Sie vielleicht.
Ich will Ihnen auch noch dies antworten. Viele Jahre später habe ich die beiden Erlebnisse mal am Bodensee einem entfernten Verwandten erzählt. Der Mann war auch Vorsteher einer neuap. Gemeinde und konnte „aus dem Stand“ druckreif sehr vernünftig 30 Minuten oder auch länger predigen. Keine Floskeln. Freundliche Ansprache der Gemeinde mit gehaltvollen Betrachtungen zum Predigttext (also das neuap. „Textwort“). Ein „feiner Mann“. Wissen Sie, was der zu den beiden Geschichten gesagt hat? Das: „Heinrich, in unserer Kirche kann sich der liebe Gott auch nur mit den Bürsten kratzen, die er hat.“
Machen Sie’s gut.
Ihr Cempowski