Die Naherwartung zelebrieren und gleichzeitig das Nicht-Erscheinen erklären
Wenn man in Betracht zieht, dass sich Paulus bereits im Jahr 50 vor die gleiche Problematik gestellt sah,
möchte man dem Apost
elat zurufen: "Herzlich willkommen in der Realität! Schön, dass ihr es auch schon
einrichten konntet!"
Was war damals geschehen?
Die ersten Christen lebten in der unmittelbaren Naherwartung, da Jesus dies so angekündigt hatte. Nun aber
ereigneten sich die ersten Todesfälle unter den Geschwistern. Und es kam die Frage auf, ob die eben Pech
gehabt hätten, denn in der bisherigen Vorstellung des zukünftigen Gottesreiches auf Erden waren Verstorbene
schlicht nicht vorgesehen.
Beachte: Das Wort aus Johannes 14,3: "Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wieder-
kommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin." wurde erst Jahrzehnte später formuliert.
Paulus reagierte darauf im 1. Thessalonicherbrief, wo er in Kap. 4,13 ff. die (leibliche) Auferstehung der
verstorbenen Christen bei der Parusie einführt. Zu diesem Zeitpunkt glaubt er, beim Kommen Jesu noch am
Leben zu sein ("Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben,...")
Ein paar Jahre später - die Todesfälle häufen sich (die Hochzeiten vermutlich auch

) musste Paulus seine Theologie
weiter entwickeln. Dies tat er im 1. Korintherbrief, Kap. 15. In den Versen 50-53 macht er den entscheidenen
Schritt weg von der leiblichen Gegenwart, indem er die Verwandlung der Lebenden und der Toten in eine
unsterbliche und unverwesliche Existenz einführt. "Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle
entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden." Ob diese neue Existenz auf Erden oder im Himmel gelebt
wird, lässt er offen.
Wieder einige Jahre später geht er im Römerbrief inzwischen vom eigenen Tod vor der Parusie aus: "Leben wir,
so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des
Herrn." (Röm. 14,8). Gab's viel später auch als musikalisch sehr ansprechendes Männerchorlied!
In seinem letzten Brief an die Philipper, rückt die Parusie noch weiter in den Hintergrund, und sein persönliches
Schicksal wird präsenter. Er entwickelt die Vorstellung, nach dem eigenen Tod direkt bei Jesus zu sein: "Ich habe
Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre; aber es ist nötiger, im Fleisch
zu bleiben um euretwillen. (Phil 1, 23.24).
Nach Paulus' Tod und unter dem Eindruck der Zerstörung des Jerusalemer Tempels entsteht das Markusevangelium.
In Kapitel 13 wird dann der Spagat geübt, den die NAK bis dato exerziert:
linkes Bein - das Versprechen der Bälde, "Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies
alles geschieht."
rechtes Bein - aber vorher muss noch ... "Das Evangelium muss zuvor gepredigt werden unter allen Völkern."
Die Parallelen zur Gegenwart sind deutlich. So wurde in den 1950-ern die "Botschaft" vermarktet und in neue
Mitglieder umgemünzt. Die 60-er vergingen in Schockstarre. In den 70-er und 80-ern wurden die Schwarzafrikaner
bekehrt während man den Atomkrieg mit der UdSSR erwartete, in den 90-ern wurde hinter dem eisernen Vorhang
alles abgestaubt. Vor lauter Emsigkeit beim letzte Schafe suchen fragte keiner "Wo bleibt der HERR?"
Seit 20 Jahren beherrschen, wie Fridolin weiter oben bereits schrieb, jedoch Stagnation und Schrumpfung die NAK.
Es ist kein unbeackertes Volk mehr übrig, mit dem das Ausbleiben der Parusie noch begründbar wäre. Das letzte
Schaf um Mitternacht wurde bereits vor Jahren im Regen stehen gelassen. Und nun werden auch noch die Zeichen
der "letzten Zeit" als nicht aussagekräftig entsorgt.
Mir ist ehrlicherweise nicht klar, was Schneider damit bezwecken möchte. Klar, es hilft, sich ack-zeptabler zu präsentieren,
aber sonst? Das Anhäufen von Vermögenswerten ist weniger verwerflich, wenn man von einer dauerhaften Erdenpräsenz
ausgeht? Baut man lästigen Nachfragen vor? Alles nicht wirklich prickelnd.
Der mögliche Rufschaden beim aktiven Kirchenfolg ist ohnehin überschaubar. Zumal ich vermute, dass sich an der
Predigtpraxis wenig ändern dürfte. Wer jahrzehntelang den alten Stiefel gepredigt hat, hat ihn verinnerlicht. Egal
was das Rundschreiben meint.
In der Urkirche gab es noch einen weiteren Fluchtversuch aus dem bekannten Dilemma: die sogenannte präsentische Eschatologie.
Dabei wird kein chronologisch ablaufendes Endzeitgeschehen erwartet, sondern als bereits geschehen gedeutet.
Im Kolosserbrief, dem ersten nachpaulinischem "Paulusbrief" heisst es: "Mit ihm seid ihr begraben worden in der
Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten.
Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures
Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden." (Kol 2,12.13)
Tod und Auferstehung wurden demnach symbolisch in der Taufe bereits erlebt. Ähnlich argumentiert auch der
Epheserbrief in 2,4-6.: "Aber Gott ... hat in seiner großen Liebe auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit
Christus lebendig gemacht ... und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus."
Die wenigen, die das noch interessiert, dürfen also gespannt sein, ob die NAK unter Schneider in einem nächsten Schritt
ebenfalls die zeitliche Perspektive allmählich in Vergessenheit geraten lässt. Dies würde zumindest Raum für das eigentliche
Evangelium schaffen und die nervige Besserwisserei der Apostelschaft über Gottes Gedanken ein wenig begrenzen.